Dtsch Arztebl 2008; 105(28-29): A-1546 / B-1332 / C-1300
Nach dem am 1. April 2007 in Kraft getretenen „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV) müssen sich GKV-Versicherte an den Behandlungskosten von Komplikationen nach Schönheitsoperationen, Piercings und Tätowierungen „in angemessener Höhe“ beteiligen. Damit soll die Solidargemeinschaft von den Folgen solcher Eingriffe „ohne medizinische Indikation“ weitgehend entlastet werden.
„Wie aber verhält es sich bei schwerwiegenden, teilweise lebensbedrohlichen und damit unweigerlich die Finanzierungskraft des Einzelnen übersteigenden Komplikationen – wie ein Narkosezwischenfall, eine Sepsis oder Massenblutung?“, fragt der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) in einem Brief an den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags.
Aus ethischen Gründen werde kein Arzt lebenserhaltende Maßnahmen unterlassen, nur weil die Erkrankung Folge einer selbst verschuldeten kosmetischen Maßnahme sei. In der Konsequenz müssten dann auch andere selbst verschuldete Erkrankungen in die gleiche Systematik fallen, heißt es in dem Schreiben an den Gesundheitsausschuss. „Andererseits können auch nicht die Ärzte oder Kliniken auf den Kosten sitzen bleiben, da die Krankenkassen bekanntlich keine Erstattungspflicht haben. Hier muss zumindest über die Einführung einer Überforderungsklausel nachgedacht werden.“ Der BDC fordert daher die Einführung gesetzlich eindeutiger Rahmenbedingungen.
Auf besondere Kritik seitens der Ärzteschaft stieß ein Passus des am 14. März 2008 im Bundestag verabschiedeten Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes (§ 294 a SGB V). Danach sollen Ärzte verpflichtet werden, selbst verschuldete Krankheiten (insbesondere infolge ästhetischer Operationen, Tätowierungen und Piercings) den Krankenkassen zu melden. „Diese Regelung ist ein Angriff auf die ärztliche Schweigepflicht und das verfassungsrechtlich geschützte Patientengeheimnis. Durch die Verpflichtung der Ärzte, im Fall selbst verschuldeter Krankheiten den Krankenkassen Meldung zu erstatten, wird das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten massiv untergraben“, kommentiert die Bundesärztekammer den „Petz-Paragrafen“ und fordert seine Streichung. In entsprechender Weise reagiert auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Andreas Köhler: „Ärzte sind keine Hilfspolizisten der Krankenkassen und Arztpraxen keine Abhörstationen der Kassengeschäftsstellen.“
Schutz von Minderjährigen
Besonderes Augenmerk gilt nach Ansicht des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte dem Schutz von Minderjährigen vor den medizinischen Komplikationen durch Piercings und Tätowierungen. Derartige Eingriffe sollten in dieser Altersklasse grundsätzlich untersagt werden. Auch das Ohrlochstechen bei Säuglingen sei bereits „mit Skepsis“ zu betrachten. Union und SPD haben im April eine Gesetzesinitiative gestartet, die ein generelles Verbot von Körpermodifikationen bei Minderjährigen fordert. Die Umsetzung ist jedoch noch nicht beschlossen.
Juristisch gesehen ist Piercing eine Körperverletzung. Deshalb muss der Klient vor dem Eingriff schriftlich sein Einverständnis erklären, bei Minderjährigen erfolgt diese Erklärung durch die Eltern. Einige Studios sind inzwischen Selbstverpflichtungen eingegangen, die folgende Einschränkungen umfassen können:
- keine Piercings an unter 14-Jährigen
- Jeder Kunde muss sich durch Personalausweis, Reisepass oder Führerschein im Original ausweisen. Diese werden kopiert und dem Anamnesebogen sowie der Einverständniserklärung beigelegt.
- Im Alter zwischen 14 und 16 Jahren muss ein gesetzlicher Vormund (Elternteil, Jugendamt) nicht nur beim Beratungsgespräch anwesend sein, sondern sich auch offiziell ausweisen.
- Im Alter zwischen 16 und 18 Jahren reichen eine Einverständniserklärung des gesetzlichen Vormunds und die Vorlage seines Ausweises im Original aus.
Weist der Piercer nicht auf mögliche negative Folgen des Piercings, insbesondere etwaige Entzündungen oder Nervenschädigungen hin, kann dieser belangt werden (Beratungspflicht). So wurde ein Piercer zu 300 Euro Schmerzensgeld verurteilt, als einer Klientin die Teilamputation der Zunge drohte (Amtsgericht Neubrandenburg, Az.: 18 C 160/00).
Das Piercen befindet sich aus gesetzlicher Sicht in einer Grauzone. Das Verwaltungsgericht Gießen kam mit Urteil vom 9. Februar 1999 (Az.: 8 G 2161/98) zu dem Schluss, dass der Piercingvorgang – gleichgültig, ob dabei lokale Anästhesie eingesetzt wird oder nicht – ausschließlich von Personen mit entsprechendem Fachwissen durchgeführt werden muss. So sei mindestens eine Ausbildung zum Heilpraktiker nötig, um Piercings setzen zu dürfen.
Das oben genannte Urteil wurde in nächster Instanz vom Hessischen Verwaltungsgericht mit Urteil vom 2. Februar 2000 (Az.: 8 TG 713/99) insofern bestätigt, als zumindest für das Piercen mit Lokalanästhesie Personal mit entsprechender Kompetenz (Arzt, Heilpraktiker) vorausgesetzt wird. Wird Piercing unter Anwendung einer örtlichen Betäubung mittels Injektion eines Arzneimittels durchgeführt, stellt dies eine Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 II Heilpraktikerdesetz dar.
Ob Ärzte piercen dürfen, ist innerhalb des Berufsstands umstritten. Die Bundesärztekammer jedoch sieht Piercen nicht als ärztliche Tätigkeit an.
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Für das Piercen sollte zu mindestens eine Ausbildung zum Heilpraktiker vorliegen. Jedenfalls dann, wenn eine örtliche Betäubung mittels Injektion eines Arzneimittels durchgeführt wird. Denn das ist eine Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 II Heilpraktikerdesetz dar.